(Der folgende Artikel ist ein Erfahrungsbericht eines Endzwanzigers auf der Suche nach einem neuen Job. Beruflich beim ersten Arbeitgeber schon überdurchschnittlich gut vorangekommen, ist nun auch mal Zeit für einen Wechsel. Was man da so alles erleben kann, schildert sein Beitrag. Er bleibt bis auf Weiteres übrigens gerne anonym, man weiß ja nie, wem man noch so über den Weg läuft…)
Liebe Unternehmen,
Wir müssen reden… Immer wieder prüfe ich welche Stellen ihr so ausschreibt und ob etwas für mich dabei ist. Finde ich etwas, dass mich interessiert, schreibe ich euch eine Bewerbung. Und die Reaktion von euch ist – mit wenigen Ausnahmen – erschreckend!
Erst neulich habe ich einen Artikel der Bertelsmannstiftung gelesen, welcher herausstellt, dass ihr nach eigenen Aussagen weiterhin mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen habt.
Nur damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich gehe nicht davon aus, dass ich ein Kandidat bin, den ihr unbedingt haben wollt oder eine Fachkraft, die man einstellen MUSS!
Wenn Ihr jedoch alle Bewerber so behandelt, wie ihr es mit mir gemacht habt, wundere ich mich nicht, dass es euch an qualifiziertem Personal mangelt. Und ganz nebenbei: Ich bin mir sicher, dass ihr alle Bewerber so behandelt.
Fangen wir aber vorne an.
Ich schreibe also meine Bewerbungen an einige Unternehmen und erhalte die ersten Absagen. Manche von euch sind dabei sehr schnell und brauchen nur einige Tage, andere brauchen bis zu 8 Monaten. Nicht weiter schlimm, ich habe mit Absagen gerechnet.
Die Texte der Absagen sind dabei standardisiert, nichtssagend und unpersönlich. Ich kenne die juristischen Hintergründe und lasse es daher gelten. Wertgeschätzt fühle ich mich dabei jedoch nicht.
Einige von euch verwenden sogenannte Bewerbungsportale. Auf einem anderen Weg ist eine Bewerbung nicht möglich. Aus eurer Sicht ist das Portal klasse! Alle Bewerbungen kommen im standardisierten Format bei euch an, die ganze Kommunikation kann über dieses Portal stattfinden und die Bewerber können mittels KI bereits vorsortiert werden. Für euch macht es den Bewerbungsprozess deutlich einfacher. Für den Bewerber… naja.
Auf der ersten Seite kann der Lebenslauf hochgeladen werden, um die notwendigen Felder automatisch auszufüllen. Zwar werden die Felder nicht mit den Daten ausgefüllt, die dort eigentlich eingetragen werden sollen, aber zumindest steht schon mal was drin!
Während ich also alle Felder korrigiere und mit den richtigen Daten fülle, frage ich mich, warum ich mir beim erstellen meiner Bewerbung und vor allem meinem Lebenslauf so viel Mühe gegeben habe. Immerhin habe ich alles so gestaltet, dass das Unternehmen einen ansprechenden Eindruck von mir erhält. Schließlich ist mir das wichtig.
Nun gut, nach 20 Minuten ist alles korrigiert und die Bewerbung abgeschickt. Ich kann mich also an die nächste Bewerbung machen – wieder ein Bewerbungsportal.
Während es mich bei der ersten Bewerbung nicht gestört hat, alle Daten zu korrigieren, geht es mir bei den weiteren doch ziemlich auf die Nerven. Meine Motivation weitere Bewerbungen an Unternehmen mit solchen Portalen zu schreiben, sinkt stark.
Immerhin beginnen die Portale direkt mit der Arbeit und senden mir eine automatische Mail über den Erhalt meiner Bewerbung zu. In jedem dieser Schreiben bekomme ich einen Hinweis, dass es aktuell coronabedingt zu Verzögerungen kommen kann und ich mich daher nicht melden brauche, um nach dem Stand meiner Bewerbung zu fragen.
Ich möchte nicht zu viel vorwegnehmen, aber: Ihr seid durch Corona nicht langsamer geworden – zumindest nicht noch langsamer.
Immerhin erkenne ich durch diese Mail, dass die Portale einwandfrei arbeiten. Durch die standardisierte Eingabe der Bewerbungen, erfolgt die Bearbeitung schnell, einfach und zielgerichtet. Ich werde also zeitnah Rückmeldung erhalten, wie es mit meiner Bewerbung weitergeht.
*** 8 Wochen später***
Ich öffne mein Mailpostfach und habe doch tatsächlich eine Rückmeldung von euch erhalten! Ich klicke gespannt auf die Mail und hoffe das Beste.
Leider handelt es sich bei der Mail nicht um eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch oder einer Absage sondern um eine Information mit der Bitte, weitere Informationen nachzureichen. Diese hätte ich wohl beim Ausfüllen des Bewerbungsportals vergessen anzugeben.
Ich wundere mich kurz, warum diese Information, nicht im Rahmen eines Pflichtfelds abgefragt wurde, wenn sie für den weiteren Prozess doch so relevant ist, stelle aber nach kurzer Prüfung fest, dass diese Information nicht nur in keinem Pflichtfeld, sondern in überhaupt keinem Feld im Bewerbungsportal abgefragt wurde.
Selbstverständlich reiche ich die Information nach, ziehe dabei aber meine eigenen Schlüsse über die Kultur innerhalb des Unternehmens
, wenn interne Fehler nicht zuerst selbst hinterfragt, sondern lieber auf die Bewerber abgewälzt werden.***4 Wochen später***
Ich erhalte eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Der kurzen Freude folgt der Schreck. Auf welche Stelle hatte ich mich bei euch denn nochmal beworben?! Ich durchforste meine Unterlagen und stoße auf die Stellenbeschreibung.
Es beginnt also die Vorbereitung. Ich studiere die Stellenanzeige und eure Homepage um mir ein Bild von euch zu machen und meine Fragen zu notieren. Ich möchte ja auch einen guten Eindruck machen und zeigen, dass ich mich wirklich für euch interessiere und gerne mit euch zusammenarbeiten möchte.
*** 1 Woche später***
Heute ist der Tag! Zwar findet das Vorstellungsgespräch online statt, dennoch habe ich mich entsprechend angezogen. Ich sitze mit Hemd und Jackett vor meinem Computer. Das Zimmer hinter mir habe ich aufgeräumt. Ich schalte mich in die Konferenz ein und warte.
***10 Minuten später***
Ich rufe beim Unternehmen an und lasse mich mit der Personalabteilung verbinden. Genau so überrascht, wie die Personalerin über meinen Anruf, bin ich über die Information, dass man das Gespräch anscheinend vergessen habe, man es aber gerne im laufe der Woche nachholen könne. Selbstverständlich ginge es dann nur vormittags, aber wenn mir der Job so wichtig sei, sollte sich das ja einrichten lassen.
*** 2 Tage später ***
Um an dieser Stelle etwas abzukürzen: Nach einer kurzen Vorstellungsrunde wird mir die erste Frage gestellt, wann ich mein Studium beenden werde und was ich mir als Berufseinstieg vorstellen könnte.
Auf die Antwort, dass ich bereits seit 5 Jahren im Beruf bin, mein Studium berufsbegleitend absolviert und dieses bereits seit 6 Monaten abgeschlossen habe, bekomme ich ein wertschätzendes „Aha“ als Antwort. Das Gespräch ist für mich erledigt. Ich frage mich, wie ihr wohl reagiert hätte, wenn ich den Termin vergessen oder mich nicht über euch informiert hätte.
Liebe Unternehmen,
Was ihr bis hierhin gelesen habt, war nur ein Abriss von dem, was mir während meiner Bewerbungen passiert ist. Was ich nicht erwähnt habe, sind Bewerbungsportale, die mein Profil mehrmals gelöscht haben, Mailadressen in Stellenausschreibungen
, die ins Leere geführt haben, Stellenausschreibungen mit logischen Widersprüchen, Rückmeldungen nach bis zu 8 Monaten und Mitteilungen, dass die Stelle bereits besetzt sei – selbstverständlich erst auf Nachfrage nach dem Stand meiner Bewerbung.Ich verstehe, dass die Zeit nicht ausreicht, um die unzähligen Bewerbungen richtig zu bearbeiten, die ihr erhaltet. Aber Moment! Hattet ihr euch nicht über den Fachkräftemangel beschwert? Dann dürfen es doch eigentlich nicht so viele Bewerbungen sein? Oder bekommt ihr am Ende doch noch genug Bewerbungen, die nur einfach nicht eurer Vorstellung entsprechen? Dann sollten sie doch über die Portale einfach auszusortieren sein, sodass ihr euch nur noch um die wirklich interessanten Kandidaten kümmern müsst? Oder ist eure Stellenanzeige einfach so vage formuliert, dass man nicht rauslesen kann, um was es sich dabei überhaupt handelt und was die Anforderungen sind? Immerhin habe ich Laufe meiner Bewerbungsphase die Bezeichnung „Material Manager“ für Stellen vom Staplerfahrer bis zum Vice Präsidenten gefunden.
Was es auch ist, ich kann die Beschwerden leider nicht nachvollziehen. Während meines gesamten Bewerbungsprozesses hatte ich leider nur sehr selten das Gefühl, von dem entsprechenden Unternehmen ernst genommen und wertgeschätzt zu werden. Sicher ist es Arbeit, diese Wertschätzung bereits einer Person entgegenkommen zu lassen
, die noch gar nicht Teil des Unternehmens ist. Allerdings lässt es für mich darauf schließen, wie ihr mit Menschen umgeht, denen ihr nicht mehr gefallen müsst, da sie sich bereits für euch entschieden haben.Trotz aller Kritik, gibt es auch ein Beispiel, dass hier deutlich heraussticht (ja, nur eins). Neben einer unheimlich schnellen Rückmeldung auf meine Bewerbung – nämlich ca. 6 Stunden – und der damit verbundenen Einladung zum Vorstellungsgespräch, erfolgte auch die Absage 2 Tage nach diesem besagten Gespräch – und zwar in einem halbstündigen Telefonat! Ich wurde dabei über meine Stärken und Schwächen aus Sicht des Unternehmen aufgeklärt und habe Feedback zu meinem Auftreten und meinem Lebenslauf bekommen. Es geht also auch anders.
Ich weiß, dass es sich bei diesem Artikel um ein Worst Case Szenario handelt. Aber ich kann garantieren, dass jedes einzelne Element dieses Artikels genau so stattgefunden hat. Und zwar nicht bei dem Freund eines Freundes, der einen Cousin hat, der wiederum einen kennt – sondern bei mir!
Ich hoffe, dass ihr euch mein Schreiben zu Herzen nehmt und das ihr einige Anregungen in diesem Artikel findet euren eigenen Prozess zu überdenken und zu hinterfragen. Euer Erfolg wird im Wesentlichen von euren Mitarbeitern bestimmt. Von denen, die bereits mit euch zusammenarbeiten und denen, die in Zukunft mit euch zusammenarbeiten wollen. Folglich legt der Bewerbungsprozess den Grundstein für den Erfolg.
PS: Auf eine Rückmeldung warte ich immer noch. Abgeschickt habe ich die Bewerbung am 10.11.2019. Heute ist der 28.06.2021…