Mit der Hand? Mit einem Stift? Schreiben? Handschreiben auf Papier ist doch irgendwie retro. Es ist mühsam, man kann es (nicht nur bei mir) nur schwer lesen, es dauert länger als wenn man es tippt, man kann es nicht mit seinen anderen Dateien speichern, nicht elektronisch suchen lassen, und und und. Die Tage von Stift und Papier sind gezählt – eher schreiben wir auf Tastaturen oder auf den Touchbildschirmen von Handys oder Tablets.
Wozu haben wir denn alle unseren Laptop dabei, wenn wir unsere Notizen nicht gleich mit der Tastatur in den Rechner eingeben können? Die Frage ist berechtigt und die modernen Tools wie Evernote, Onenote und die vielen vielen Apps, mit denen man Notizen aufnehmen und verwalten kann, tun ihr Übriges. Und können wir nicht alle schneller über die Tastatur schreiben, als mit der Hand? Und lesbarer? Und wir können unsere Notizen mit anderen teilen. Und brauchen wir den Laptop nicht sowieso für die Arbeit, die Zusammenarbeit mit anderen, die Präsentationen, den Zugriff auf unzählige Wissensquellen?
Warum soll man wieder mehr mit der Hand schreiben?
Weil es sich lohnt!
Klar ist: Handgeschriebenes und vor allem Schreibschrift nehmen ab, Tastaturgeschriebenes nimmt zu. Teilweise wird sogar über die Abschaffung der Schreibschrift zu Gunsten einer Art Druckschrift an den Schulen diskutiert oder gleich zugunsten des 10-Finger-Schreibens auf der Tastatur. Eine Studie des britischen Dienstleisters Docmail stellte fest, dass der typische befragte Erwachsene durchschnittlich 41 Tage nichts mehr per Hand geschrieben hat. Rund die Hälfte der 2000 Befragten sagten, dass sich ihre Handschrift merklich verschlechtert hat. Ein Viertel schreibt in Abkürzungen wie LOL und FYI und ein Drittel kann seine Schrift später nicht mehr lesen. Kann sich der eine oder andere von Euch in diesen Zahlen wieder finden? Alles hat eben auch seine Konsequenzen – auch wenn man per Tastatur viel schneller schreiben kann.
Studien zeigen beispielsweise, dass Kinder schneller lernen können, wenn sie erst gelernt haben, von Hand zu schreiben. Und sie sind dann auch kreativer und können sich Informationen besser merken. Oder Studierende können sich die Dinge aus Vorlesungen besser merken, wenn sie diese per Hand notieren – besser als Studierende, die ihre Notizen gleich in den Laptop schreiben.
Irgendwas muss also dran sein, am Handschreiben auf Papier!
Pam Mueller von der Princeton University und Daniel Oppenheimer von der University of California haben in einer Studie unter Studierenden untersucht, wie sich Notizen per Hand im Vergleich zu Notizen per Tastatur auswirken. Dabei haben sie festgestellt, dass Studenten, die Notizen per Hand schreiben, signifikant mehr davon behalten, als ihre Kollegen und Kolleginnen, die die Notizen auf dem Laptop notieren. Jetzt könnte man auf die Idee kommen, dass es vielleicht Vorteile bringt, wenn man möglichst viel oder gar alles mitschreibt. So könnte man sich ja später besser auf die Prüfung vorbereiten und alles noch einmal nachvollziehen? Leider nein!
Alle diese Fragen untersuchten Mueller und Oppenheimer in ihrer Studie „The pen is mightier than the keyboard“. Hier die Ergebnisse:
- Lernende, die sich zum Inhalt verschiedener Lernvideos handschriftliche Notizen gemacht haben, konnten das Gezeigte deutlich besser wiedergeben als Lernende, die ihre Notizen mit dem Laptop gemacht haben.
- Die Laptopgruppe schrieb während der Tests mit 300 Wörtern rund 100 Wörter mehr als die handschreibende Gruppe mit 200 Wörtern. Bei der Abfrage von Sachfragen schnitten beide Gruppen ungefähr gleich gut ab. Bei Verständnisfragen war die Handschriftengruppe wesentlich besser als die Laptopgruppe, genauso wie beim Merken von Schlüsselfakten. Die Laptopuser haben sich eher zufällige Dinge aus dem Vortrag gemerkt.
- Auch wenn die Laptopgruppe die Anweisung erhielt, nicht nur alles Gehörte einfach mitzuschreiben sondern die Inhalte mit eigenen Worten zu notieren, schnitt die Handschriftgruppe besser ab.
- Um festzustellen, ob die umfangreicheren und detaillierteren Notizen der Laptopgruppe mit etwas zeitlichem Abstand Vorteile gegenüber den handgeschriebenen Notizen bringen, wurden beide Gruppen eine Woche nach Anfertigen der Notizen gebeten, die Notizen noch einmal zu lesen und wieder ein Test durchgeführt. Auch hier zeigte sich die Überlegenheit der handschriftlichen Notizen.
Ziemlich entmutigend für Laptopschreiber, oder? Warum ist das so? Was sind die Gründe?
Mehr Gehirnregionen sind aktiv!
Unterschiedliche Forscher fanden heraus, dass bei Menschen, die handschriftliche Notizen anfertigen, mehr Gehirnregionen aktiv sind, als bei Menschen, die sich Notizen über eine Tastatur machen. Die Vermutung dazu ist, dass durch die motorische Bewegung, mit der das Gehörte nachvollzogen wird, das Gehirn effektiver eingebunden ist und somit die Merkfähigkeit gefördert wird. In Studien mit Hirnscans wurde bereits früh nachgewiesen, dass das Schreiben von Hand das Gehirn offenbar anders beschäftigt als das Tippen auf einer Tastatur.
Das Schreiben per Hand ist im Gehirn ein komplexer Vorgang. Das Gehirn muss erkennen, WAS gemeint ist (dazu gleich mehr) und muss es gleichzeitig durch die Bewegung der eigenen Hand in Schrift umsetzen. Allein das Schreiben von Hand ist ein komplexer feinmotorischer Vorgang, bei dem das Gehirn Armbewegung, Handbewegung, Fingerbewegung miteinander koordinieren muss, um flüssiges Schreiben zu ermöglichen. Jeder Buchstabe erfordert ein anderes Bewegungsmuster, einen anderen Druck mit dem Stift auf Papier, der Sehsinn und der Tastsinn sind beim Schreiben involviert. Das Schreiben per Tastatur ist dagegen einfacher, man muss nur den richtigen Knopf drücken und es macht keinen Unterschied, wie fest dieser gedrückt wird.
Studien belegen, dass durch die Einbindung der Hirnregionen für motorischen Fähigkeiten, die Merkfähigkeit gesteigert wird und zusätzlich Kreativität, Koordination und Geschicklichkeit trainiert wird. Dabei spielt die Schreibschrift eine besondere Rolle im Vergleich zu handgeschriebenen Druckschrift. Bei der Schreibschrift sind die Anforderungen an die Feinmotorik noch höher, die Buchstaben sind komplexer.
Schnell getippt ist noch nicht gelernt!
Da wir alle in der Regel schneller tippen können als handschreiben, können wir mit dem Laptop in Vorlesungen oder in anderen Situationen viel mehr mitschreiben, als mit der Hand. Das Problem ist aber, dass wir dazu neigen, gleich fast wörtliche Mitschriften zu machen und das Denken dabei einzustellen. Wir haben danach dann zwar mehr Notizen, diese aber eben nicht im Kopf – wie die beschriebenen Studien bestätigen.
Bei handgeschriebenen Notizen ist es aber unumgänglich, dass wir uns Gedanken machen, das Gehörte verarbeiten, zusammenfassen und neu formulieren. Das Gehirn ist so viel stärker in den Prozess des Verstehens eingebunden. Die langsamere Schreibgeschwindigkeit zwingt uns also, uns auf die wesentlichen Inhalte zu konzentrieren und diese schon beim Notieren zu verinnerlichen.
Mehr Verarbeitung – besser verstehen und mehr merken!
Wenn wir Notizen per Hand schreiben, betreibt unser Gehirn einigen Aufwand. Wir müssen die Dinge, die wir hören, evaluieren, ordnen, filtern, gewichten, kategorisieren, reflektieren, stellen Relationen zwischen den Informationsstücken her, fassen zusammen, verknappen Inhalte und schreiben sie mit eigenen Worten auf. Der Prozess des Notierens ist bereits eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt und hilft uns , die Dinge besser zu verstehen und uns die Dinge besser zu merken und später abrufen zu können. Die Notizen selbst sind somit eigentlich nur Mittel zum Zweck – abgesehen davon, dass man sie auch noch mal lesen kann.
Schreibschrift kann das noch verstärken. Das Lernen und Anwenden von Schreibschrift fördert und trainiert die Fähigkeit, zu denken, schneller zu lernen, kreativer zu werden und vieles mehr.
Und noch etwas passiert, wenn wir von Hand schreiben. Forscher haben festgestellt, dass Handschreiben für das Gehirn so ähnlich ist, als würden wir das Gehörte tatsächlich machen. Also so eine Art Visualisierung, wie man sie von Sportlern kennt, die die Rennstrecke im Kopf schon mehrfach durchfahren oder sich vorstellen, wie sie die Kletterwand durchklettern. Handschreiben scheint genug vom Gehirn einzubinden, um diesen Effekt anzutriggern. Mehr Leistung und bessere Fähigkeiten sind das Ergebnis.
„Der einzige Weg, sich Dinge nicht aufschreiben zu müssen, um sie nicht zu vergessen ist, sie aufzuschreiben, um sich so gut dran zu erinnern, als hätte man sie gar nicht aufgeschrieben.“
(Wolfram Theymann, 2017, aus der Lamäng…)
Weniger Zeit für Ablenkungen!
Ein weiterer Aspekt sind die möglichen Ablenkungen, wenn man den Laptop gerade schon dabei hat. Man kann mal eben etwas zum Thema nachschlagen, aber auch das nächste Katzenbild ist nicht weit. Schon 2003 haben Studien festgestellt, dass Studierende im Durchschnitt rund 40% der Unterrichtszeit damit verbracht haben, im Web zu surfen, lustige Youtube-Videos zu schauen, sich mit Messengern und mit ihren Mails beschäftigt haben. Interessanterweise waren dies die Studierenden, die nur wenig zufrieden mit ihrer Ausbildung waren. Und bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit durchzufallen größer, als bei den anderen Studierenden.
Zitat:
Das große Problem von Keyboards ist, dass sie mit Bildschirmen verbunden sind, die mit dem Internet verbunden sind. Also gibt es immer etwas was Dich von der Arbeit ablenkt.
Und wenn ich nun mit dem digitalen Stift in Handschrift auf dem Tablet schreibe?
Bevor Ihr nun das geliebte Tablet oder den geliebten Laptop weglegt und den Bleistift spitzt: es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass das Handschreiben in Schreibschrift auf dem Tablet ähnliche Effekte hat, wie das Handschreiben auf Papier. Immerhin sollten die Prozesse im Gehirn, die das Lernen unterstützen, zumindest ähnlich ablaufen.
Forschungsergebnisse über den genauen Vergleich habe ich nicht gefunden, aber Wissenschaftler der Norwegian University of Science and Technology (NTNU) in Trondheim haben den Unterschied zwischen digitalen Notizen mit dem Stift und Tippen auf dem Tastatur untersucht. Die Ergebnisse belegen, dass Informationen, die handschriftlich notiert werden, in tieferen Arealen des Gehirns verarbeitet werden und sich dies positiv auf das Lernen auswirkt.
Digitale handschriftliche Notizen mit einem Eingabestift sind offenbar ein effizienteres Mittel zur bewussten Verarbeitung von Informationen als die Nutzung eines Laptops mit Tastatur.
Alles in Allem…
- Dinge, die wir uns merken wollen und aufschreiben, können wir uns besser merken!
- Handschriftliche Aufzeichnungen haben viele positive Effekte. Zum Beispiel können wir uns etwas besser merken, wenn wir es handschriftlich notieren als, wenn wir es per Tastatur aufschreiben. Und wir können uns Zusammenhänge besser merken.
- Beim Notieren per Tastatur und Laptop neigen wir dazu, alles wörtlich aufzuschreiben und dabei das Denken abzuschalten. In diesem Fall behalten wir viel weniger.
- Je fleißiger wir mitschreiben, umso besser können wir uns im Vergleich zu den fauleren Kollegen erinnern. Doch je wortwörtlicher die Mitschrift, desto weniger Inhalt bleibt hängen. Wer stattdessen per Stift oder Tastatur mehr den groben Inhalt notiert, erinnert sich deutlich besser!
- Laptops lenken ab, weil man damit viel mehr machen kann als nur seine eigenen Notizen pflegen. Das nächste Katzenbild ist so nah.
- Handschreiben hilft beim Denken! Wenn es um die tiefere Analyse oder die tiefere Verarbeitung von Wissen geht, helfen Notizen per Hand.
- Handschreiben mit einem digitalen Stift auf einem Tablet oder dem Display eines Laptops haben ähnliche Effekte wie das Handschreiben mit dem Stift auf Papier.
Natürlich spricht auch viel dafür
, sich die Dinge digital per Tastatur zu notieren. Immerhin sind sie – egal ob im Studium oder im Job – schnell geschrieben und per Suchfunktion auch schnell wieder gefunden. Allerdings lohnt es, die Erkenntnisse aus den genannten Studien genauer anzusehen und seine eigenen Schlüsse zu ziehen.Schreibt mehr mit der Hand!
Ganz sicher ist es in vielen Situationen angebrachter, sich handschriftliche Notizen zu erstellen, als diese per Tastatur in den Rechner zu tippen! Man hat Dinge eher im Kopf und kann sich auch später noch daran erinnern. Immer wenn es um Wissen geht, ist dies der bessere Weg. Wenn es nur um den Einkaufszettel geht, ist es weniger wichtig.
Die Arbeitsteilung zwischen analog und digital wird sich die nächsten Jahre noch weiter entwickeln. Die Handschrifterkennung wird immer besser und in nicht allzu ferner Zukunft wird man problemlos auch handschriftliche Notizen auf dem Tablet einfach digital durchsuchen können. Bis es soweit ist, müssen wir Laptop und Papier parallel nutzen.
Und seien wir ehrlich: wir schreiben vieles mit, was wir nie wieder brauchen. Vielleicht lohnt auch hier der kritische Blick? Müssen wir im Meeting tatsächlich so viel mitschreiben, wenn wir die Notizen danach nie wieder ansehen und gleichzeitig beim Meeting nicht wirklich mitdenken, weil wir so beschäftigt sind mit dem Erfassen von Allem? Lohnt hier vielleicht der Umstieg auf Papiergeschriebenes? Mitdenken und die Dinge tatsächlich im Kopf verarbeiten ist sicherlich wichtiger. Beim Mitschreiben in Vorlesungen, Vorträgen oder in Meetings.
Letztendlich muss jeder selbst entscheiden, wie er seine Notizen führt. Aber man sollte sich eben auch der jeweiligen Limitierungen und Konsequenzen bewusst sein. Mehr per Hand schreiben, keine wortwörtlichen Mitschriften, die Informationen tiefgehend verarbeiten, mit eigenen Worten formulieren, auf die Ablenkungen durch die vielen Möglichkeiten von Laptops und Tablets achten – das wären die grundlegenden Aspekte, auf die jeder achten sollte.
Quellen:
- https://www.theguardian.com/science/2014/dec/16/cognitive-benefits-handwriting-decline-typing (Original nicht auffindbar)
- Mueller, P.A., & Oppenheimer, D.M. (2014). The Pen is Mightier than the Keyboard: Advantages of Longhand Over laptop Note Taking. Psychological Science, DOI:10.1177/0956797614524581
- http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/154193128803200533
- Hembrooke, Gery Gay „The Laptop and the Lecture: The Effects of Multitasking in Learning Environments“, in: Jopurnal of Computing in Higher Education, Fall 2003, Vol. 15
- Berninger, V. “Evidence-Based, Developmentally Appropriate Writing Skills K–5: Teaching the Orthographic Loop of Working Memory to Write Letters So Developing Writers Can Spell Words and Express Ideas.” Presented at Handwriting in the 21st Century?: An Educational Summit , Washington, D.C., January 23, 2012.