Warum Zeit, Arbeit und Organisation selten neutral sind

Die Fortsetzungen des Parkinsonschen Gesetzes

Ein ganz gewöhnlicher Arbeitstag

Es ist Montagmorgen. Das Projekt läuft seit Wochen, der Abgabetermin ist noch angenehm weit entfernt. Die Aufgabenliste ist lang, aber nichts scheint zu drängen. Man stimmt sich ab, verschiebt Entscheidungen, feilt an Details, die später vielleicht niemand bemerken wird. Und dann, plötzlich, ist er da: der letzte Monat, die letzte Woche, der letzte Tag. Jetzt muss alles schnell gehen.

Rückblickend stellt sich die leise, unbequeme Frage:
Hätte all das nicht auch deutlich früher erledigt werden können?

Genau an dieser Stelle beginnt das Parkinsonsche Gesetz – und mit ihm eine ganze Familie weiterer Beobachtungen, die erklären, warum Arbeit, Zeit und Organisationen sich oft so verhalten, wie sie es tun.

Das Parkinsonsche Gesetz besagt: Arbeit dehnt sich genau in dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht. Doch diese Erkenntnis steht nicht für sich. Im Laufe der Zeit sind zahlreiche Erweiterungen, Abwandlungen und verwandte Gesetze entstanden, die dasselbe Grundmuster beschreiben: Menschen und Organisationen reagieren nicht neutral auf Ressourcen – sie passen ihr Verhalten an sie an.

1. Die ursprünglichen Erweiterungen von Cyril Northcote Parkinson

1.1 Das Gesetz der wachsenden Bürokratie

Urheber: Cyril Northcote Parkinson

Parkinson beobachtete, dass Verwaltungen und Organisationen dazu neigen, unabhängig vom tatsächlichen Arbeitsanfall zu wachsen. Selbst wenn Aufgaben wegfallen oder effizienter erledigt werden könnten, nehmen Stellen, Prozesse und Abstimmungsschleifen zu.

Die Ursachen liegen weniger in böser Absicht als in menschlichen Motiven:

  • Führungskräfte schaffen sich lieber Untergebene als potenzielle Konkurrenten
  • Arbeit entsteht, um bestehende Strukturen zu legitimieren
  • Koordination, Kontrolle und Berichterstattung ersetzen produktive Tätigkeit

Das Ergebnis ist eine Organisation, die zunehmend mit sich selbst beschäftigt ist.

1.2 Das Gesetz der trivialen Dinge (Law of Triviality)

Urheber: Cyril Northcote Parkinson

Auch bekannt als Bike-Shedding-Effekt. Dieses Gesetz beschreibt die Neigung von Gruppen, sich intensiv mit einfachen, leicht verständlichen Details zu beschäftigen – während komplexe und folgenreiche Themen kaum diskutiert werden.

Warum?

  • Jeder kann etwas zur Farbe des Fahrradschuppens sagen
  • Kaum jemand fühlt sich sicher genug, ein Millionenbudget infrage zu stellen

So entstehen endlose Diskussionen über Nebensächlichkeiten, während entscheidende Fragen erstaunlich geräuschlos durchgewunken werden.

2. Gesetze, die Parkinsons Beobachtung weiterdenken

2.1 Hofstadters Gesetz

Urheber: Douglas Hofstadter

„Es dauert immer länger als erwartet – selbst dann, wenn man Hofstadters Gesetz berücksichtigt.“

Hofstadters Gesetz ergänzt Parkinson um eine bittere Ironie: Selbst unsere Korrekturen sind zu optimistisch. Planung bleibt fehleranfällig, weil wir Komplexität, Abhängigkeiten und menschliches Verhalten systematisch unterschätzen.

Besonders in wissensintensiven oder kreativen Projekten zeigt sich dieses Gesetz mit beeindruckender Zuverlässigkeit.

2.2 Brooks’ Gesetz

Urheber: Frederick P. Brooks Jr.

Formuliert in „The Mythical Man-Month“:

„Adding manpower to a late project makes it later.“

Brooks zeigte, dass zusätzliche Ressourcen ein Projekt nicht automatisch beschleunigen. Neue Teammitglieder müssen eingearbeitet werden, Abstimmungsaufwand steigt, Verantwortung wird diffuser.

Mehr Menschen bedeuten oft: mehr Kommunikation, mehr Reibung – und damit mehr Zeit.

3. Psychologische Effekte rund um Zeit und Deadlines

3.1 Das Studentensyndrom

Urheber: Begriff aus dem Projektmanagement

Das Studentensyndrom beschreibt die Tendenz, erst dann mit einer Aufgabe zu beginnen, wenn die Deadline bedrohlich nahe rückt. Die verfügbare Zeit wird nicht genutzt, sondern verbraucht.

In Kombination mit dem Parkinsonschen Gesetz entsteht ein paradoxes Muster:

  • Der frühe Zeitraum bleibt ungenutzt
  • Am Ende entsteht maximaler Zeitdruck

3.2 Das Pareto-Prinzip (80/20-Regel)

Urheber: Vilfredo Pareto

Das Pareto-Prinzip wirkt wie ein stiller Gegenentwurf zu Parkinson. Es besagt, dass ein Großteil der Ergebnisse mit vergleichsweise wenig Aufwand entsteht, während die letzten Prozent unverhältnismäßig viel Zeit kosten.

Wer diesen Zusammenhang ignoriert, verliert sich leicht in Perfektionismus und Detailarbeit ohne nennenswerten Zusatznutzen.

4. Moderne Gesetze mit ähnlicher Logik

4.1 Goodharts Gesetz

Urheber: Charles Goodhart

„When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure.“

Übertragen auf Arbeit bedeutet das: Sobald Zeit, Kennzahlen oder Produktivitätsmetriken zum Ziel werden, verändern Menschen ihr Verhalten, um diese Vorgaben zu erfüllen – oft auf Kosten des eigentlichen Sinns der Aufgabe.

Zeit wird dann nicht genutzt, sondern „gespielt“.

4.2 Ausgaben wachsen mit dem Budget

Zuschreibung: häufig Parkinson zugeschrieben

Nach demselben Muster wie Zeit verhalten sich auch finanzielle Ressourcen: Ausgaben passen sich dem verfügbaren Budget an. Mehr Geld führt selten automatisch zu besseren Ergebnissen, sondern zu höheren Standards, zusätzlichen Funktionen oder wachsender Komplexität.

Fazit: Was wir daraus für unseren Arbeitsalltag lernen können

Die Fortsetzungen des Parkinsonschen Gesetzes sind keine abstrakten Managementtheorien. Sie sind verdichtete Beobachtungen dessen, was täglich in Organisationen, Projekten – und im eigenen Denken – geschieht.

Zeit, Geld, Personal oder Aufmerksamkeit wirken nicht passiv. Sie formen Verhalten. Wo Zeit im Überfluss vorhanden ist, entsteht Zögern. Wo Budgets wachsen, wächst Komplexität. Wo Kennzahlen dominieren, verengt sich der Blick auf das Messbare.

Die praktische Konsequenz ist keine radikale Selbstoptimierung, sondern bewusste Begrenzung: klare Zeitrahmen, klare Definitionen von „fertig“, Mut zur Entscheidung, bevor alle Eventualitäten durchdacht sind.

Vielleicht liegt produktives Arbeiten weniger darin, mehr Zeit zu schaffen,
als darin, ihr rechtzeitig ein Ende zu setzen.

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